Chris Kraus zu Gast
Ein Abend mit Diogenes
Der Schweizer Verlag Diogenes ist seit jeher ein Garant für gelungene Abendveranstaltungen am mediacampus frankfurt. Der Abend des 9. November stellte insofern keine Ausnahme dar, als der renommierte Regisseur Chris Kraus seinen jüngsten Roman «Das kalte Blut» fast 70 interessierten Auszubildenden vorstellte. Die Lesung war ein fulminanter Abschluss des Abendveranstaltungsprogramms im 200. Berufsschulblock und darüber hinaus für das ganze Jahr 2017.
Nach einer kurzen Einführung durch Ulrich Richter, Vertriebsleiter von Diogenes, begann Chris Kraus seine Lesung. Im Werk des Regisseurs und Autors, der zuletzt mit dem mehrfach ausgezeichneten Spielfilm «Die Blumen von gestern» von sich reden gemacht hat, spielt das Thema Holocaust eine wichtige Rolle. Kraus‘ Ansporn, sich diesem Thema anzunehmen, war auch die Beschäftigung mit der eigenen Familie und deren Verstrickung in die nationalsozialistische Diktatur. Nicht zufällig nimmt der Autor Kraus daher in «Das kalte Blut» vor allem die Täterperspektive ein.
Der Roman, der in Langzeitperspektive vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die frühen siebziger Jahre erzählt, spielt an verschiedenen Schauplätzen im Baltikum, dem Deutschen Reich und dem geteilten Deutschland der Nachkriegszeit. Die Geschichte handelt von den ungleichen Brüdern Hubert und Konstantin, die in der deutschen Oberschicht Estlands aufwachsen. Dritte im Bunde ist die Adoptivschwester Ev, die im Zuge der revolutionären Unruhen in Russland in die deutschbaltische Familie kommt. Mit beiden Brüdern hat die junge Frau später ein Verhältnis. Hubert und Konstantin werden beide Teil der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie. Ihr Weg führt sie über den Eintritt in die Schutzstaffel (SS) in eine der berüchtigten Einsatzgruppen, die für die Ermordung von zehntausenden Juden im deutsch besetzten Teil der Sowjetunion verantwortlich waren.
Von Anfang an gelang es Kraus, das Publikum für sich zu gewinnen. Die ausgewählten Stellen für die Lesung vermittelten einen guten Einstieg in den fast 1200 Seiten starken Roman. Bei der Vorstellung der beiden jungen Brüder, die der Autor durchaus sympathisch beschreibt, waren ihm sogar mehrmals die Lacher des Publikums sicher. Dennoch machte er deutlich, dass beide im späteren Verlauf der Handlung auch an zahlreichen Verbrechen beteiligt sein werden. Der Ausblick am Ende legt zudem nahe, dass sie keineswegs dafür zur Rechenschaft gefordert werden. Der Antikommunismus der Nachkriegszeit im westlichen Lager macht es möglich, dass Hubert und Konstantin für die Organisation Gehlen, den Vorgänger des Bundesnachrichtendienstes (BND), tätig werden.
Die Lesung endete nach anderthalb Stunden. Damit war der Abend aber noch keineswegs vorbei. Der Verlag hatte die Auszubildenden noch zu Pizza eingeladen. Die Schüler konnten sich zudem über die mitgebrachten Leseexemplare freuen, die ihnen der Autor nur zu gerne signierte. Noch lange nach dem offiziellen Ende saßen die Schüler noch mit den Gästen zusammen und diskutierten. Wir danken dem Diogenes Verlag, Ulrich Richter und Klaus Kaltenbach und nicht zuletzt Chris Kraus für den großartigen Abend, den Imbiss und die Leseexemplare.